FÄRÖISCHE KÜCHE

Geschrieben von Catherine Martel, Dînette Magazine

Sehr wenige Orte auf der Welt haben eine solche Wirkung auf die Sinne wie die Färöer Inseln. Die Landschaft ist rau und felsig, geformt von der Stärke der Meeresbrise und den Regenstürmen, welche jegliche Form des Lebens einfach wegfegen. Nur auf solch einer isolierten vulkanischen Inselgruppe kann eine kulinarische DNA, die mit einem starken Willen zum Überleben kodiert wurde, mit solchem Charakter und Stolz gedeihen. Eine innovative Restaurantszene junger Küchenchefs beginnt die Grenzen der lokalen Küche herauszufordern, wobei färöische Zutaten und Methoden zu Gerichten mit Michelin-Stern-Potential werden. Ihre Teller sind mit Geschichten, beeindruckenden Formen und Farben gefüllt, die beweisen, dass die Färinger viel mehr als nur eine wunderschöne Landschaft zu bieten haben.

Das erste, was einem auf der Fahrt vom Flughafen nach Tórshavn, der Hauptstadt, auffällt, ist, wie wenig grünes und anbaufähiges Land auf den Färöern zu sehen ist. Man hat das Gefühl, man sei auf einem großen Felsen gestrandet, wo nur tausende von Schafen herumwandern. Ein paar interessante Fakten helfen einem, die Besonderheit dieser Landschaft zu verstehen: es wachsen keine Bäume auf den Inseln und es leben hier mehr Schafe als Menschen! Dies kombiniert mit dem rauen Wetter, mit gleichmäßig kalten Temperaturen das ganze Jahr durch (es ist selten wärmer als 10 Grad oder kälter als -5 Grad Celsius) und das Ergebnis ist eine der unwahrscheinlichsten Umgebungen zur Entstehung einer verfeinerten Küche. Doch die Färinger sind solch stolze Verfechter ihrer tausendjährigen Traditionen, dass eine klare und in der Tat ziemlich faszinierende Verbindung zwischen ihrer Geschichte und der kulinarischen Kultur erkannbar ist.

DAS ÜBERLEBEN DER STÄRKEREN

Was ist denn so einzigartig an der kulinarischen Tradition der Färöer?
Unter den skandinavischen Ländern sind die Färöer mit Abstand am stärksten isoliert und am meisten von klimatischen Veränderungen gefährdet. Seit den ersten Siedlungen im neunten Jahrhundert ernährten sich die Einwohner hauptsächlich von den Produkten des Ozeans und der Vogelschwärme. Die Winter waren (und sind immer noch) lang und hart, weshalb es eine Frage von Leben oder Tod war, genug Essen für die Wintermonate zu konservieren. Aber die Besonderheit des nordatlantischen Wetters gab ihnen eine einzigartige Möglichkeit der Lebensmittelkonservierung. Dank einer perfekten Kombination von stetig niedrigen Temperaturen und Wind und einer hohen Salzkonzentration in der Luft entwickelten die Färinger eine salzlose Methode der Konservation von Fisch und Fleisch: Ræst. Übersetzt heißt das Gärung. Bei dieser Tradition wird das Fleisch oder der Fisch zunächst im Freien und danach in Trockenhäusern aufgehängt, wo Zeit und Naturelemente ihre Wirkung entfalten.

Unter allen skandinavischen Gebieten sind es die Färöer, die bei weitem am isoliertesten und anfälligsten für Klimaveränderungen sind.

Die Bauern gelten als Hüter der Ræst-Tradition, sie beherrschen nämlich die Kunst, Schaf- oder Lammfleisch zu fermentieren, ein Prozess der ganze neun Monate dauert, und die Kunst, Fisch zu trocknen, vor allem Kabeljau, etwas das zwei bis drei Monate dauert. Dieser einzigartige Prozess findet in einem Hjallur statt. Ein Hjallur ist ein Trockenhaus, dessen Wände die Meeresbrise ausreichend durchlässt. Eine Lammkeule ist genau richtig, wenn sich eine dicke, grünliche Schicht auf dem Fleisch gebildet hat. Nachdem man diese Schicht abgeschnitten hat, ist das Fleisch so weich wie der beste Bayonne-Schinken. Die Verwesung wirkt wie der edle Verfall, welcher ein Grand Cru veredelt. Besonders faszinierend an der Raest-Methode bleibt aber, dass das Fleisch durch die konstante Meeresbrise auf natürliche Weise gesalzen wird.

EINE NEUE SICHT DER NORDISCHEN KÜCHE

Wenn man an kleinen malerischen Fischerdörfern vorbeikommt, ist es auch heutzutage nicht ungewöhnlich, Fische zu sehen, die von der Dachtraufe hängen und dabei langsam altern und den salzigen Geschmack des Windes aufnehmen. Vor einem Jahrhundert wären diese später für den Winter gelagert worden. Heutzutage benutzen lokale Küchenchefs diese einfache, auf Überlebensinstinkten beruhende Methode, um sie raffiniert zu verfeinern. Junge Chefs wie Kári Kristiansen vom Restaurant Ræst und Poul Andrias Ziska vom neuerdings Michelin-Stern-gekrönten KOKS treten in die Fußstapfen des berühmten färöischen Chefs Leif Sørensen, der im Jahr 2004 zusammen mit anderen nordischen Chefs wie NOMAs René Redzepi’s das New Nordic Food Manifesto (das neue nordische Essensmanifest) unterschrieb. In diesem Manifest zeigte sich der Wunsch, die neue skandinavische Vorgehensweise an Essen zu feiern und zu bewahren. Dieser neuer Ansatz ist nicht nur rein, einfach, ethisch, und von den Jahreszeiten abhängig sondern legt auch den Fokus auf lokale und frische Zutaten. Vor zehn Jahren war es fast unmöglich in färöischen Restaurants lokale Produkte zu essen, aber durch bessere Beziehungen zu Produzenten und Bauern ist der einzigartige Geschmack der Inseln nun für alle zugänglich.

RAESTEN ODER NICHT RAESTEN

Wonach schmeckt Raest-Fleisch eigentlich? Der starke und einzigartige Geschmack, der sich beim ersten Kontakt mit der Zunge entfaltet, wird viele Gourmets überraschen, da die färöischen Aromen genauso ungewöhnlich sind, wie die Landschaft rau ist. Dem Geschmack eines Fleisches, das im Freien gealtert ist, fehlt der Vergleich. Die fünfte Geschmacksrichtung, Umani, kann nur ansatzweise beschreiben, wie der erste Bissen eines neun-Monate-alten Stück Lammfleisch schmeckt. In der Nase entsteht eine wilde Mischung von Gerüchen, die an einen Stall, an Wolle und Blauschimmelkäse erinnern. Im Mund trifft ein rauer, tierischer Geschmack in Begleitung von ein wenig frischem Gras auf die Zunge.

Essensliebhaber mit genug Mut können diese besondere Mahlzeit im Ræst Restaurant in Tórshavn genießen. Dieses Restaurant ist der traditionellen Zubereitung gewidmet und versucht den Gästen ein authentisches färöisches Erlebnis zu bieten. „Wir versuchen es wie ein Abendessen in der Familie zu machen“, meint Chef Kári Kristiansen, der sehr stolz darauf ist, dass das Menu auf exklusiven Zutaten beruht, die nur den erfahrenen Inselbewohnern zugänglich sind: „Das meiste des fermentierten Essens bleibt hier auf den Färöern. Man muss raus in die Natur gehen, um es zu holen“.

WAS GIBT ES ZUM ABENDESSEN

Die färöische Ernährung besteht, abgesehen von fermentiertem Fleisch, zum größten Teil aus saisonalem Fisch und Meeresfrüchten, Bio-Lammfleisch und einigen robusten Wurzelgemüsen. Wenn sie nicht vom Winde verweht werden, bevor sie reif sind, wachsen Kartoffeln, Kohlrabi, Steckrüben und Rhabarber auf den Inseln so langsam, dass sie sich mit der Zeit mit unglaublichen Aromen füllen. Man könnte sogar behaupten, dass Steckrüben so saftig und süß seien wie eine reife Birne (diese Aussage kann ich voll und ganz unterstützen). Die limitierte und sehr saisonale Vorratskammer zwingt zweifellos die färöischen Chefs dazu, die vorhandenen Zutaten auf kreativste Weise einzusetzen. Zum Würzen verwenden die Färöer wilde Algen mit Trüffelgeschmack und lokale Gewürze wie Engelwurz. Auch Seevögel sind sehr gefragt, besonders der Eissturmvogel, der als ein heiß geliebtes saisonales Gericht genossen wird. Der junge und dicke Vogel lebt in den Klippen der Inseln. Gelegentlich bläst der Wind ein Nest in den Ozean, und da der junge Vogel zu dick und ungelenk ist, kann er nicht wieder hoch fliegen. So endet er letztendlich im Netz eines Fischers, bevor er ertrinken kann.

Neben fermentiertem Fleisch besteht die färöische Ernährung hauptsächlich aus saisonalem Fisch und Meeresfrüchten, Bio-Lamm und einigen hartnäckigen Wurzeln.

ESSEN UND MENSCHEN

Viele der besten Gerichte, die wir auf den Färöern probiert haben, sind von der häuslichen Küche inspiriert. Das liegt daran, dass die meisten traditionellen Rezepte innerhalb der Familie bewahrt und weitergegeben werden. Die Färöer haben eine ganz besondere Beziehung zu ihrer Umwelt und zu den Ressourcen in ihr. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung versorgt sich mit Essen selbst. Manche arbeiten teilzeit als Fischer, Jäger oder Bauer, und haben gleichzeitig einen anderen Beruf, den sie von neun bis fünf an Werktagen ausüben. Andere heißen Gäste und ausländische Besucher, welche das typische färöische Abendessen erleben wollen, in ihrer Küche willkommen.

Heimablídni ist eine neue Tradition der Gastfreundschaft. Gäste werden von Einheimischen zu einer selbstgekochten Mahlzeit in ihr Haus eingeladen, bekommen einen Einblick in das Familienleben und können dadurch das Wesentliche der färöischen Mentalität erfassen.

Wer authentische Erlebnisse und raue Schönheit liebt, wird von den Färöern begeistert sein. Die erstaunliche, natürliche Schönheit der Färöer ist mit nichts Anderem auf dieser Welt vergleichbar. Die Einheimischen sind gastfreundlich, optimistisch und widerstandsfähig. Wir können definitiv einiges von ihnen lernen: Wenn man dem natürlichen Rhythmus der Dinge folgt, kann es glücklich machen, und wenn man all das feiert, was die Natur zu bieten hat, kann es zu wahrer Kreativität und Genuss führen.

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